Feldenkrais – Lernen in Bewegung

Dr. phil. Kerstin Engels

Feldenkrais ist eine bewegungspädagogische Methode. Ihr Erfinder, Moshé Feldenkrais, entwickelte sie Anfang des letzten Jahrhunderts. Über die Schulung der Wahrnehmung und eine Veränderung von Bewegungsabläufen sollen Einschränkungen überwunden werden – psychisch und sozial ebenso wie körperlich.

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Junge auf Schaukel pixabay child-185157 640Die Feldenkrais-Techniken sind letztlich ein integratives Konzept. Ob zu therapeutischen Zwecken, zur Gesundheitsförderung oder Persönlichkeitsentwicklung - die Anwendungsfelder sind äußerst vielfältig.

Wer war Moshé Feldenkrais?

Die Biografie des Erfinders, Moshé Feldenkrais (1904-1984), ist ebenso bewegt wie bemerkenswert. Geboren in der Ukraine, wandert er mit 14 Jahren nach Palästina aus, wo er sich mit Jobs über Wasser hält, Abitur macht und Mathematik studiert. Bereits in dieser Zeit interessiert er sich für Selbstverteidigungstechniken und schreibt ein Buch über Jiu Jitsu. Mit Anfang Zwanzig geht er nach Paris, setzt seine Studien dort fort und wird Ingenieur und Physiker. Feldenkrais lernt hier außerdem Judo bei Jigoro Kano, dem Begründer dieser Kampfsportart. Er wird selbst Judolehrer und gehört zu den ersten Trägern des schwarzen Gurtes in Europa.

Während des Krieges flieht er nach England und arbeitet als Wissenschaftler im Dienst der britischen Marine. In einem Versteck in Schottland beginnt er innerhalb eines Zirkels von Wissenschaftlern Vorträge zu halten, die sich mit dem Zusammenhang von Bewegung, Lernen und Verhalten beschäftigen. Diese Vorträge bilden die Grundlage seines Konzepts. Er veröffentlicht sie 1949 unter dem Titel „Body and Mature Behaviour“ („Der Weg zum reifen Selbst“).

Nach Kriegsende wandert Feldenkrais nach Israel aus und arbeitet zunächst in der Armee als Chef der elektronischen Abteilung. Bereits in England hatte er damit begonnen, seine während des Krieges entwickelte Bewegungslehre zu unterrichten. In Israel wird dies zunehmend zu seinem eigentlichen Tätigkeitsschwerpunkt. Feldenkrais arbeitet mit verletzten oder behinderten Menschen und gewinnt an Bekanntheit. Er behandelt Prominente, von David Ben-Gurion über Yehudi Menhuin bis Peter Brook. Ab den Siebzigern leitet er in den USA Kurse und Ausbildungen und findet für seine therapeutischen und bewegungspädagogischen Erfolge weltweit Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Die Feldenkrais-Methode

Moshé Feldenkrais verarbeitete in seiner Methodik eine Vielzahl von Einflüssen und Erfahrungen, umfangreiche naturwissenschaftliche Kenntnisse ebenso wie seine Judokunst. Seine besondere Leistung lag sicherlich darin, dass er zu einem sehr frühen Zeitpunkt einen Zusammenhang von Lernen, Bewusstsein, Wahrnehmen und Handeln herstellten konnte.

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Mit seinen Übungen fand er eine Möglichkeit, hinderliche oder auch schmerzhafte Bewegungsmuster eines Menschen neu zu organisieren – mit weitreichenden Folgen. Denn das Ziel dieser Techniken ist einerseits, Bewegungsstörungen und -einschränkungen, etwa durch Verletzungen oder Behinderungen therapeutisch zu beeinflussen, andererseits aber auch das Selbstbild positiv zu verändern und Handlungsspielräume zu erweitern. Dementsprechend findet die Methode in der Rehabilitation Anwendung, wird aber auch von Tänzern, Musikern oder Sportlern geschätzt.

Zu den Grundkonzepten gehörte bei Feldenkrais das „organische Lernen“. Lange, bevor die moderne Gehirnforschung viele seiner Annahmen bestätigte, ging er den Wechselwirkungen von Bewegung, Selbstwahrnehmung und Gehirnstrukturen nach, wie sie in der kindlichen Entwicklung besonders deutlich werden.

Wie man mittlerweile weiß, bleibt das Gehirn lebenslang plastisch, kann sich also umorganisieren. Solche Reorganisationsprozesse sind abhängig von Erfahrungen, Aufmerksamkeit und Vorstellungen. Und sie stehen in engem Zusammenhang mit körperlichem Erleben: mit Bewegungen, Sinneswahrnehmungen und körperlichem Kontakt. Auf dieser Basis entwickelte Feldenkrais sein spezielles Übungs- und Schulungssystem, um psychische und körperliche Potenziale individuell zu entwickeln und Einschränkungen zu überwinden.

Zwei Formen der Feldenkrais-Methodik

Feldenkrais arbeitete mit zwei unterschiedlichen Herangehensweisen, die noch heute die beiden von offizieller Verbandsseite lizensierten Übungskonzepte darstellen.

Das Übungssystem „Bewusstheit durch Bewegung“ (Awareness through Movement) findet als Gruppenunterricht statt. Ausgebildete Feldenkrais-Lehrer, sogenannte Practitioner, leiten die Gruppe verbal an. Der Unterricht zielt darauf, gewohnte Bewegungsabläufe spielerisch durch die Lenkung der Aufmerksamkeit und durch Variationen zu verändern. Die individuellen Handlungsspielräume sollen sich dadurch schrittweise erweitern. Eine verbesserte Wahrnehmung von Bewegungs- und Handlungsmustern, so die Annahme, trägt zugleich zur Persönlichkeitsentwicklung bei, fördert die Kreativität und stärkt das Selbstbewusstsein.

Die zweite Form der Feldenkrais-Methode, genannt „Funktionale Integration“ (Functional Integration) wird in Einzelstunden angewendet, die eher Behandlungen ähneln. Klienten liegen dabei, während ein Feldenkrais-Practitioner zumeist ohne Worte mit sanftem Körperkontakt durch Bewegungen und ihre Variationen führt.

Anwendungsbereiche

Die Feldenkrais-Methode ist ganzheitlich und integrativ orientiert. Sie hat insofern Schnittstellen zu verschiedenen Disziplinen und auch eine Vielzahl von Anwendungsbereichen. Feldenkrais verfolgte einerseits eine pädagogische Absicht, die darauf zielt individuelle Potenziale auszuschöpfen und weiterzuentwickeln. Aus diesem Grund kommt die Methode oft als hilfreiche Ergänzung bei künstlerischen Tätigkeiten oder auch im Sport zum Einsatz.

Andererseits enthält Feldenkrais auch therapeutische und gesundheitsfördernde Elemente. Zu den häufigen Anwendungsbereichen zählt daher auch die Rehabilitation nach Verletzungen, die Arbeit mit Behinderten oder Unterstützung bei stressbedingten Erkrankungen.

Feldenkrais-Practitioner

Für die Feldenkrais-Methode gibt es mehrjährige Ausbildungs-Trainings, hauptsächlich in Europa, Amerika und Australien. Die Ausbildung folgt Richtlinien, die von dem internationalen Feldenkrais-Verband (IFF) und den darunter organisierten nationalen Verbänden festgelegt werden. Absolventen einer solchen Ausbildung können eine Lizenz erwerben, die bestimmte Qualitätsstandards gewährleisten soll. Über den deutschen Verband (FVD) lassen sich auch Practitioner auffinden, von denen es hierzulande etwa 2000 gibt.

Wegen des integrativen Ansatzes der Feldenkrais-Methode sind die Practitioner letztlich eine Mischung aus Trainer, Lehrer, Therapeuten und Pädagogen. Je nach persönlichem und beruflichem Hintergrund wird das Repertoire von Feldenkrais dadurch in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen fruchtbar gemacht. 

 

Literaturtipps

Moshé Feldenkrais: Bewußtheit durch Bewegung: Der aufrechte Gang. 12. Aufl. Berlin 1996.

Moshé Feldenkrais: Der Weg zum reifen Selbst. Phänomene menschlichen Verhaltens. 3. Aufl. Paderborn 2008.

Feldenkrais Verband Deutschland (FVD): Feldenkrais - Leichtigkeit und Kreativität durch Bewegung. 2. Aufl. München 2013.

Wolfgang Busch: Feldenkrais und Psychosomatik. Auswirkungen der Feldenkraismethode --Bewusstheit durch Bewegung -- unter besonderer Berücksichtigung psychosomatischer Aspekte. Books on Demand 2011 (Dissertation). Auszug in Google-Books

 

Links

http://www.feldenkrais.de/ - Website des deutschen Feldenkrais-Verbands

http://feldenkrais-method.org/ - Website des internationalen Feldenkrais-Verbands

http://www.feldenkrais-foerderverein.de/images/stories/pdfs/fove_literaturliste.pdf - Liste mit Feldenkrais-Literatur

 

Bildnachweis: sabrinayrafa/pixabay