Osteopathie: Heilende Hände
Dr. phil. Kerstin Engels
Bei der Osteopathie herrscht oft Verwirrung, was damit gemeint ist. Das ist kein Wunder. Denn schon der Begriff selbst ist etwas irritierend. Osteopathie lässt sich zwar wörtlich mit „Knochenleiden“ übersetzen. Doch die sanfte Therapie mit den Händen ist vor allem ganzheitlich orientiert. Anzeige
Osteopathie auf Gesundheitsprobleme im Bereich von Knochen oder Gelenken zu beschränken, das wäre so ziemlich das Gegenteil der osteopathischen Denkweise.
Tatsächlich liegt dieser Therapie eine ganzheitliche Auffassung der Vorgänge im menschlichen Körper zugrunde. Etwas in den „Knochen“ zu haben oder Bewegungseinschränkungen sind demnach ein Ausdruck von Störungen, die irgendwo anders im Organismus ihre Ursache haben können.
Was ist Osteopathie?
Das Konzept der Osteopathie geht zurück auf den Arzt Andrew Taylor Still, der es gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika entwickelte. Der Mediziner verfolgte auf der Basis eigener Erfahrungen, Beobachtungen und verschiedener Einflüsse einen ganzheitlichen und zutiefst philosophisch geprägten Ansatz.
Gesundheit ist in dieser Sichtweise ein Gleichgewicht des Körpers im ungehinderten Bewegungs- und Energiefluss. Andrew Still nahm an, dass die Organe ebenso wie Knochen, Muskeln und alle Gewebe des Körpers in ihren Funktionen miteinander verknüpft sind. Störungen in dem freien Fluss äußern sich demnach als Blockaden, Verspannungen oder als direkte Einschränkungen der Beweglichkeit.
Eine osteopathische Behandlung spürt diesen Blockaden mit den Händen nach. Mit einer Vielzahl an Handgriffen und Techniken wirkt sie darauf hin, solche „Restriktionen“ aufzulösen. Indem der freie Bewegungsfluss wieder hergestellt wird, sollen die Selbstheilungskräfte des Körpers angeregt werden.
Dieser Ansatz kann für Patienten in der Behandlung durchaus überraschend sein. Denn bei der Vorstellung, wie eine Krankheit entsteht, geht die Osteopathie davon aus, dass der Körper eine Funktionseinheit bildet. Störungen in einem Bereich wirken sich danach auf andere Bereiche aus, so dass die Ursache für ein bestimmtes Symptom unter Umständen an einer ganz anderen Stelle verortet wird. In der Folge werden möglicherweise Schmerzen im Knie zum Beispiel im Bereich des Bauchs behandelt.
Drei Ansatzpunkte der Osteopathie
Andrew Still ging von einem Zusammenhang der Knochen, Muskeln und des Bindegewebes aus, die in einer Wechselwirkung mit dem Gefäßsystem und den Nerven stehen. Ein Schlüssel für das gute „Funktionieren“ des Körpers ist danach die Blutversorgung über die Arterien. Die Ausrichtung von Faszien, Muskeln, Knochen und Gelenken sollen Störungen in der Versorgung des Körpers und seiner Organe positiv beeinflussen.
In der Folgezeit entwickelte und erweiterte sich die Osteopathie in verschiedene Teilbereiche mit jeweils eigenen Ansätzen und Techniken. Als ein spezifischer Bereich kam die „viszerale“ Osteopathie hinzu. Sie legte das Augenmerk auf die Beweglichkeit und den Rhythmus der inneren Organe in ihrem Zusammenspiel mit den anderen Strukturen, wie den Faszien und Muskeln. Auch hier ging es darum Störungen aufzufinden und therapeutisch mit manuellen Techniken einzuwirken, beispielsweise auf die Lage von Organen oder auf Verklebungen von Gewebe.
Als dritten Bereich – neben der „parietalen“ Osteopathie nach Still und der „viszeralen“ Osteopathie – entwickelte der Amerikaner William Garner Sutherland die craniosacrale Therapie. Sutherland übertrug die Arbeitsweise der Osteopathie speziell auf den Schädel, das Rückenmark und das Kreuzbein.
Er entdeckte in diesem craniosacralen System eigene Rhythmen und begann, mit seinen Händen auf die Beweglichkeit von Strukturen einzuwirken, die zuvor als fest verknöchert galten, wie die Schädelnähte und den Bereich des Kreuzbeins.
Die Behandlung in der Osteopathie
Die Osteopathie arbeitet mit den Händen, das heißt in der Regel ohne Arzneimittel oder andere therapeutische Hilfsmittel. Die osteopathischen Therapeuten gehen den individuellen Problematiken im direkten Kontakt mit dem Patienten nach. Entscheidend ist das, was sie sehen und mit den Händen fühlen können. Mit dem, was sie an Einschränkungen wahrnehmen können, „arbeiten“ sie.
Dabei kommt eine Vielzahl von manuellen Techniken zum Einsatz: bestimmte Handgriffe oder Berührungen, die gezielt auf Bereiche des Körpers einwirken. Patienten liegen dabei meistens in unterschiedlichen Positionen auf einer Behandlungsliege.
Möglichkeiten der Osteopathie
Viele osteopathische Behandlungen haben zunächst mit Bewegungsstörungen und Problemen im Bewegungsapparat zu tun, ob Gelenkschmerzen, Bandscheibenvorfälle, Verspannungen der Muskulatur oder Hexenschuss. Da die Osteopathie jedoch in ihrer Theorie und Praxis ganzheitlich auf den Energiefluss, die Organe und die Körperfunktionen einwirkt, geht es um Blockaden und Störungen im gesamten Körper.
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Die Osteopathie wird sowohl als eigenständige Behandlungsweise genutzt, als auch begleitend zu anderen Therapien, wie etwa Physiotherapien, Anwendungen der Naturheilkunde oder ärztlichen Behandlungen.
Grenzen der Osteopathie
Ärzte oder Heilpraktiker, die mit den Möglichkeiten der Osteopathie behandeln, informieren Patienten auch, in welchen Fällen die Osteopathie keine geeignete Behandlungsform ist.
Da im Mittelpunkt der Therapie das Ziel steht, die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, werden akute und sehr schwere Krankheiten höchstens begleitend zu anderen Therapien behandelt.
Osteopathie wird zum Beispiel nicht angewendet bei Infektionskrankheiten, bei akuten Verletzungen (z.B. Brüchen oder Wunden) oder in akuten Notfällen, wie bei einem Herzinfarkt. Auch psychische Krankheiten gehören nicht zum Behandlungsspektrum der Osteopathie.
Im Einzelfall hängt es von individuellen Diagnosen und Situationen ab, ob eine Behandlung sinnvoll ist. Über die Möglichkeiten und auch Risiken sollten sich Patienten bei den osteopathischen Therapeuten ebenso erkundigen wie gegebenenfalls bei ihrem behandelnden Arzt.
Wer darf die Osteopathie anwenden?
Für Nicht-„Kenner“ ist es manchmal schwierig, die Osteopathie von anderen Therapien zu unterscheiden, die ebenfalls mit manuellen Techniken auf den Körper einwirken. Besonders die Abgrenzung zur Physiotherapie und zur Chiropraktik fällt da nicht immer leicht. Darüber hinaus tragen die Gesetze und Vorschriften zur Ausübung der Osteopathie nicht gerade zum Verständnis bei.
In den USA, dem Ursprungsland dieser Methode, gibt es eine eigenständige medizinische Ausbildung zum osteopathischen Arzt, den D.O. – Doctor of Osteopathic Medicin. In Deutschland ist dagegen selbst nach einer fünfjährigen grundständigen Osteopathie-Ausbildung oder nach einem Osteopathie-Studium die Berufsbezeichnung Osteopath nicht zulässig.
Osteopathische Behandlungen dürfen hierzulande nur Ärzte oder Heilpraktiker mit einer entsprechenden "Zusatzausbildung" ausführen, außerdem Physiotherapeuten im Rahmen ärztlicher Verordnungen
In den USA ist rund jede zehnte alternativmedizinische Behandlung osteopathisch oder chiropraktisch (laut einer Studie von SRI International, 2007). Allerdings ist die Osteopathie auch bei uns schon seit Jahren auf dem Vormarsch – trotz mancher bürokratisch oder lobbyistisch anmutender Hürden. Bei privaten Krankenkassen gehören osteopathische Behandlungen meistens mit zu den Leistungen. Aber auch immer mehr gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten.
Literaturtipps
Torsten Liem, Christine Tsolodimos: Osteopathie. Das sanfte Lösen von Blockaden. Trias-Verlag 2013.
Christoph Newiger: Osteopathie. Sanftes Heilen mit den Händen. Trias-Verlag 2005.
Bildnachweise: tomasdelgado/pixabay